Die Anomalie des Wassers

Wasser in seinen unterschiedlichen Aggregatzuständen spielt in der Atmosphäre eine große Rolle, das ist sicher jedem Leser und jeder Leserin unserer Tagesthemen sonnenklar. Dabei ist Wasser ein besonderer Stoff und ist Gegenstand im heutigen Thema des Tages.

Die Dichte des Wassers hängt, wie bei jedem anderen Stoff auch, sowohl von der Temperatur und dem Druck, als auch von darin gelösten Stoffen ab. So hat zum Beispiel Salzwasser eine höhere Dichte als Süßwasser. Geht man von reinem Wasser aus, also Wasser ohne gelöste Stoffe, haben normale Luftdruckschwankungen wie sie in unserer Erdatmosphäre vorkommen, praktischen keinen bzw. einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Dichte. Bleibt also die Temperaturabhängigkeit.

Im Prinzip nimmt die Dichte mit steigender Temperatur immer ab. Besonders groß ist der Dichteunterschied beim Schmelzen. Festkörper, also gefrorene Stoffe, sind normalerweise erheblich schwerer (weil kompakter bzw. dichter) als der entsprechende Stoff in flüssigem Aggregatzustand und gehen in ihrer Schmelze unter. Bei Wasser, ist das nicht so.

Wasserdampf als Gas hat natürlich eine geringere Dichte als das Kondensat "Flüssigwasser". Die Moleküle bewegen sich bei höheren Temperaturen und erst recht in gasförmigem Zustand mehr und verbrauchen daher mehr Platz. Kühlt man heißes Wasser ab, nimmt die Dichte mit abnehmender Temperatur zu - so weit also alles normal. Wasser erreicht allerdings bei etwa 4 Grad seine maximale Dichte. Danach nimmt die Dichte mit weiter sinkender Temperatur wieder ab. Beim Gefrieren von Wasser geht die Dichte nochmals deutlich zurück - gefrorenes Wasser/Eis hat also eine geringe Dichte als flüssiges Wasser und schwimmt daher oben. Die Ursache hierfür liegt in der Molekülstruktur der Wassermoleküle, genauer gesagt in der Partialladung der Wassermoleküle und den sogenannten Wasserstoffbrückenbindungen der Wassermoleküle untereinander. Dadurch können die Wassermoleküle im Feststoff nicht so platzsparend und gitterförmig angeordnet werden, wie die Moleküle der meisten Feststoffe. Wassermoleküle bilden eine Kristallstruktur mit sechseckiger Grundform und beanspruchen damit mehr Platz als in der flüssigen Form - die Dichte von Eis ist also geringer. Damit lässt sich auch erklären, warum Eiswürfel im Glas und Eisberge auf dem Meer schwimmen können (gut, hier spielt auch noch der Salzgehalt des Meeres eine Rolle) und die Seen im Winter von oben gefrieren und die Fische unterhalb der Eisschicht überleben können. Dieses sechseckige Kristallgitter ist auch der Grund für die sechseckige Grundform aller Schnee- und Eiskristalle.

Aus physikalischer Sicht ist hinsichtlich der Dichteabhängigkeit von der Temperatur aber auch interessant, dass die Temperatur des Wassers Auswirkungen auf die Effektivität der Wasserkraftnutzung hat. Der Druck auf ein Wasserrad oder eine Turbinenschaufel, genauer gesagt der hydrodynamische Druck oder Staudruck, ist neben anderen Größen wie der Fallhöhe des Wassers, der Strömungsgeschwindigkeit und natürlich auch dem Wirkungsgrad der Anlage direkt abhängig von der Dichte. Die Dichte von Wasser ist also bei 4 Grad mit 999,97 kg/m³ also fast 1000 kg/m³ am größten - nebenbei: Eis besitzt eine Dichte von 918 kg/m³. Die Dichteänderung des Wassers bei höheren Temperaturen über 4 Grad bewegt sich recht schnell im Zehntelbereich: 999,85 kg/m³ bei 8 Grad, 999,70 kg/m³ bei 10 Grad und zum Beispiel 998,20 kg/m³ bei 20 Grad. Und damit ergeben sich doch deutliche Unterschiede in der Leistung von Wasserkraftanlagen, die schon bei wenigen Grad Unterschied in der Wassertemperatur einige hundert Watt ausmachen kann. Bei "kalten" Wassertemperaturen kann also mit den gleichen Voraussetzungen (gleiche Fallhöhe, gleiche Fließgeschwindigkeit, gleicher Volumenstrom/gleiche Wassermenge) mehr Energie/Strom erzeugt werden als bei höheren Wassertemperaturen. Wasserkraftwerke und Wassermühlen laufen also in der kalten Jahreszeit aufgrund des höheren, direkt von der Dichte abhängigen hydrodynamischen Drucks effektiver als im Sommer.

Wir als Meteorologen beschäftigen uns rein beruflich eher selten mit den chemikalischen Hintergründen der Wassermoleküle. Der Aggregatzustand des Wassers spielt aber bei jeder unserer Vorhersagen eine entscheidende Rolle - und ein kleiner Blick in andere Wissenschaftsbereiche schadet natürlich nie...

Dipl.-Met. Sabin Krüger
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.03.2021

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