Als Strommasten umknickten - Das "Münsterländer Schneechaos"

Vor fast genau 15 Jahren versanken einige Regionen im Norden Nordrhein-Westfalens im Schnee. Ein tagelanger Stromausfall war die Folge. Im heutigen Tagesthema erinnern wir ans "Münsterländer Schneechaos" und klären die Ursachen dieser historischen Schneefälle.


Aktuell ist das Wetter in Deutschland oft typisch herbstlich grau und von Schnee ist keine Spur. Auch bisher beschränkten sich Schneefälle auf die Alpen und die Kammlagen einiger Mittelgebirge. Angesichts der derzeitigen Wetterlage kann man sich kaum vorstellen, wie hart der Winter vor 15 Jahren in Teilen von Deutschland zuschlug. Am Freitag, den 25. November 2005, pünktlich vor dem ersten Adventswochenende, schneite es vielerorts in Deutschland bis ins Flachland. Aber vor allem im Münsterland, Tecklenburger Land, Osnabrücker Land und im südlichen Emsland nahm der Schnee historische Ausmaße an, mit katastrophalen Folgen, die den dortigen Bewohnern wohl ihr Leben lang in Erinnerung bleiben werden.

Bereits am Morgen des 25. November setzten in den genannten Regionen kräftige Schneefälle ein. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt handelte es sich um Nassschnee, der in dicken Flocken vom Himmel fiel und das Land im Nu in ein weißes Winterkleid hüllte. Was sich wie ein Wintertraum anhört, wurde schnell zum Alptraum. Der Schneefall intensivierte sich am Mittag und Nachmittag immer weiter. Innerhalb von weniger als 12 Stunden kamen so 30 cm Neuschnee und mehr zusammen. Auch in der darauffolgenden Nacht schneite es munter weiter, wenn auch nicht mehr ganz so kräftig. Die morgendlichen Schneemessungen um 7 Uhr verdeutlichen eindrucksvoll die gefallenen Schneemassen. Wo tags zuvor die Wiesen noch grün waren, lag nun in Tecklenburg (Kreis Steinfurt) eine 45 cm dicke Schneedecke. Im gesamten Großraum Münsterland, Tecklenburger Land und Osnabrücker Land fielen verbreitet 30 bis 50 cm Neuschnee innerhalb eines Tages. Augenzeugen berichten von lokal über einem halben Meter Schnee. Das Bemerkenswerte war, dass der Nordwesten von Deutschland (nur 100 bis 200 m über Meeresniveau!) betroffen war, wo sonst nur selten größere Schneemengen beobachtet werden und mancher Winter ohne eine einzige Schneedecke abläuft. Auch im nördlichen Bergischen Land und am Haarstrang südlich des Ruhrgebiets stapelte sich der Schnee teils auf über einen halben Meter. Allerdings liegen diese Regionen 200 bis 300 m höher und sind daher öfter größeren Schneemengen ausgesetzt. Bis zum Abend des 26. November klangen letzte Schneefälle endlich ab.

Derartige Schneemassen in einer sonst eher schneearmen Gegend blieben natürlich nicht folgenlos. Es kam zu einem Verkehrschaos. LKWs blieben schon an kleineren Steigungen hängen und auf zahlreichen Autobahnen gab es kilometerlange Staus. Auf der A1 staute sich der Verkehr bis zu 35 km und auf der A31 musste die Autobahn beidseitig gesperrt werden, da ein gerissenes Stromkabel quer über die Fahrbahn hing. Die eingeschlossenen Fahrer mussten stundenlang in ihren Autos ausharren. In NRW ereigneten sich etwa 2000 Unfälle mit 140 Verletzten und einem Sachschaden von über 3 Millionen Euro.

Auch zahlreiche Züge steckten fest, weil Bäume auf Oberleitungen fielen. Der schwere Pappschnee führte an vielen Bäumen und Sträuchern zu Schneebruch. Besonders betroffen waren die sonst so robusten Eichen, die wegen des zuvor milden Herbstes noch vollbelaubt waren. Große Äste oder gar ganze Baumstämme zerbrachen durch die hohe Schneelast.

Die weitaus schlimmste Katastrophe war aber einer der größten Stromausfälle der Nachkriegszeit in Deutschland. Viele der 250.000 betroffenen Einwohner waren drei Tage ohne Strom, einige Gehöfte und Ortsteile mussten sogar über fünf Tage ohne Strom auskommen! In den Kreisen Steinfurt, Coesfeld und Borken wurde Katastrophenalarm ausgerufen. Was war passiert? Der sehr nasse Schnee setzte sich auf den Hochspannungsleitungen ab und umhüllte sie mit einem Eispanzer, der um ein Vielfaches dicker als die Leitungen selbst war. Die Leitungen hingen daher extrem durch oder rissen sogar ab. Dem noch nicht genug - durch einen zeitweise starken bis stürmischen Wind und der vergrößerten Angriffsfläche gerieten die mehrere Zentimeter dick vereisten Stromleitungen in so starke Schwingungen, dass selbst massive Strommasten aus Stahl dem Gewicht nicht standhielten und wie Streichhölzer umknickten. Das Reparieren der Stromleitungen dauerte Wochen und der Gesamtschaden durch diese Naturkatastrophe wurde auf 100 Millionen Euro beziffert.

Zum Schluss schauen wir uns noch die Wetterlage an, die das Münsterländer Schneechaos verursachte. Am 24. November bildete sich über dem Europäischen Nordmeer westlich von Norwegen das Tief namens THORSTEN. Eingebettet in eine kräftige Nordströmung zog THORSTEN bis zum Morgen des 25. November in die Niederlande und verstärkte sich zu einem Sturmtief. Wie auf einer Autobahn gelangte an der Westseite des Tiefs mit rasender Geschwindigkeit arktische Polarluft nach Süden und wurde an der Südseite des Tiefs in den Nordwesten Deutschlands geführt. Auf der langen Wegstrecke über dem Nordpolarmeer und der Nordsee nahm die Luft viel Wasser auf. Die kalte und zugleich sehr feuchte Luftmasse wurde durch das Tief gehoben, wodurch starke Schneefälle ausgelöst wurden. Dies alleine wäre schon bemerkenswert gewesen. Dazu kam aber noch die Tatsache, dass THORSTEN über den Niederlanden quasi eine Vollbremsung einlegte und sich dort mehr als einen Tag aufhielt, bis sich das Tief allmählich abschwächte. Somit war ein und dieselbe Region über viele Stunden hinweg von den starken Schneefällen betroffen. Letztendlich war es also eine Kombination aus nassem Schnee, starken bis stürmischen Böen und die lange Verweildauer des Tiefs, die zur Schneekatastrophe führte. Die Schneefälle sind für die Region als Jahrhundertereignis einzuordnen, zeigen jedoch auch, dass selbst in Zeiten der Klimaerwärmung und damit auch in Zukunft historische Schneefälle nicht ausgeschlossen sind.


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.11.2020

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