Vom T-Shirt zur Winterjacke

Am vergangenen Montag noch bestes Spätsommerwetter, jetzt - nur wenige Tage später - Scheibenkratzen am Morgen. Was ist da in der Wetterküche passiert?

In dieser Woche ist das ganze Repertoire des Kleiderschranks gefragt. Am Montag konnte die Jacke getrost im Schrank bleiben, dagegen waren T-Shirts angesagt und manch einer mag zum nachmittäglichen Spaziergang in der Sonne vielleicht sogar nochmals zur kurzen Hose gegriffen haben. Ganz anders am heutigen Donnerstagmorgen - vor allem in den mittleren Landesteilen war Scheibenkratzen erforderlich. Wer lieber mit dem Rad zur Arbeit fahren wollte, zog sich gerne eine dickere Jacke und Handschuhe an und auch nachmittags kommt man ohne Jacke draußen leicht ins Frieren.

Besonders eindrucksvoll ist der Vergleich der Temperaturen am frühen Morgen. Wie schon im Tagesthema vom 3. November beschrieben, kamen einem die Temperaturen morgens um 7 Uhr geradezu surreal vor. Vor allem im Westen und Nordwesten betrug die Temperatur 17 bis 19 Grad, sonst meist 14 bis 17 Grad. In Mülheim-Kärlich wurden sogar 20,3°C gemessen. Selbst im Hochsommer ist es zu dieser Tageszeit oft kühler. Kein Wunder, dass mehr als die Hälfte aller Wetterstationen in Deutschland neue November-Rekorde für die Tiefsttemperatur (die meist bereits am Vorabend erreicht wurde) verzeichnen konnten. Ganz im Gegensatz dazu war es heute Morgen in der Mitte mit 0 bis -3 Grad vielerorts frostig, aber auch sonst war es (außer ganz im Süden und an den Küsten) mit 5 bis 1 Grad zur selben Uhrzeit teils über 15 Grad kälter als am Montag.

Die Höchsttemperaturen zeigen einen ähnlichen Trend. Verbreitet wurden am Montag Temperaturen über 20 Grad erreicht und damit alte Novemberrekorde teils deutlich übertroffen. Nur die bunt gefärbten Blätter waren ein untrügliches Zeichen des Spätherbstes. Am wärmsten war es in Bad Dürkheim in der Vorderpfalz mit unglaublichen 24,0°C. An der seit 72 Jahren bestehenden Wetterstation am Frankfurter Flughafen wurde mit 22,6°C der alte Rekord (19,1°C) um stolze 3,5 Grad übertroffen! Wetterstationen mit sehr langen Zeitreihen belegen allerdings, dass es Anfang November 1899 (also vor 121 Jahren) ähnlich oder sogar noch wärmer war. Damals wurden beispielsweise in Bamberg 21,9°C gemessen, während es diesmal "nur" für 20,6°C reichte.


Am heutigen Donnerstag kommen wir nicht über kühle 8 bis 12 Grad hinaus. Damit liegen die "Höchst"werte deutlich unter den "Tiefst"werten von Montag.

Was ist da in der Wetterküche passiert? Dazu schauen wir uns an, wie sich die Temperatur in etwa 1,5 km Höhe (850 hPa Druckfläche) im Laufe der Woche verändert hat (s. Abb.). In dieser Höhe spürt man kaum mehr den Einfluss des Erdbodens, sodass sich die Temperatur nur dann ändert, wenn wärmere oder kältere Luft herangeweht wird. In der Nacht zum Montag betrug die Temperatur in dieser Höhe über Deutschland 10 bis 13 Grad und auch am Montag tagsüber noch rund 10 Grad. Zeitgleich wehte ein recht kräftiger Wind, welcher dafür sorgte, dass die Luft vertikal wie horizontal gut
durcheinandergewirbelt wurde. Man spricht von einer turbulent durchmischten Atmosphäre. Bei dieser Situation ist es in Bodennähe deutlich wärmer als in der Höhe. Am Abend erreichte den Nordwesten aber eine Kaltfront, die bis Dienstag ganz Deutschland überquerte. Dahinter floss deutlich kühlere Meeresluft ein, sodass die Temperaturen in 850 hPa auf um oder sogar knapp unter 0 Grad sanken. Demnach erreichten die Höchstwerte gestern auch nur noch 7 bis 13 Grad.

Aktuell steigt die Temperatur in 1,5 km Höhe schon wieder merklich an und erreicht am Samstag in der Südhälfte wieder über 10 Grad. Anders als am Montag müssen wir uns aber auch dann mit
Nachmittagstemperaturen von nur 8 bis 16 Grad begnügen. Was auf den ersten Blick verwunderlich ist, kann der aufmerksame Leser des gestrigen Tagesthemas bestimmt erklären (...und wer es noch nicht gelesen hat, kann dies gerne nachholen, siehe unten angefügter Link). Des Rätsels Lösung ist eine starke Inversion, die verhindert, dass die warme Luft in der Höhe bis zum Boden (turbulent) heruntergemischt werden kann. Die Luft der untersten etwa 1000 m ist von der warmen Luft in der Höhe abgekoppelt und durch die nächtliche Auskühlung deutlich kühler als zu Wochenbeginn. Selbst wenn sich die Sonne durch den Nebel und Hochnebel kämpft, schafft sie es nicht, die Luft merklich zu erwärmen. Teils bleibt an der Unterseite der Inversion die hochnebelartige Bewölkung ganztags hängen und beschert uns tristes und kühles Novemberwetter.

Wer sich schon heute nach Temperaturen wie am vergangenen Montag sehnt, der muss sich wohl leider noch bis zum Frühjahr kommenden Jahres gedulden.


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 05.11.2020

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