Radausflug mit Köpfchen

An sonnigen Tagen (insbesondere an wolkenlosen Strahlungstagen) entwickeln sich in gebirgigem Gelände bevorzugt im Sommerhalbjahr sehr gut ausgeprägte Windsysteme, die aber in den verschiedenen Wetterberichten aufgrund deren Variabilität nur eingeschränkt kommuniziert werden können. Während die großräumigen Windentwicklungen mit den heutigen Methoden sehr gut zu prognostizieren sind, braucht es für die Vorhersage dieser kleinräumigen Windphänomene einige Erfahrung und eine große Portion Lokalkenntnis.


Das beste Beispiel dafür sind die unterschiedlichen Windsysteme in den Alpen. Jeder, der schon einmal einen Wanderurlaub dort unternommen hat, wird bemerkt haben, dass der Wind in einem Gebirgstal im Tagesverlauf deutlichen Schwankungen in Stärke und Richtung unterliegt. Sobald die Sonne am frühen Morgen über den Horizont gestiegen ist, wird eine Talseite aufgrund der geometrischen Gegebenheiten stärker beschienen als der gegenüberliegende Hang. Entsprechend kann an einem der Sonne zugeneigten Berghang deutlich mehr Sonnenenergie vom Boden absorbiert werden, als auf der schattigen Seite. Durch die absorbierte Energie wird der Boden je nach Beschaffenheit mehr oder weniger stark erwärmt.


Diesen Wärmeüberschuss gibt der Untergrund sogleich wieder an die darüber liegende Luft ab. Die nun erzeugte dünne Warmluftschicht ist aber deutlich leichter als die kalte Umgebung und beginnt daher in Form von Warmluftblasen aufzusteigen. Damit ergibt sich eine Luftströmung, die den Hang entlang hinaufsteigt. In der Fachsprache wird daher folgerichtig von einem sogenannten "Hangaufwind" gesprochen. Als Gegenbewegung strömt in der Talmitte oder auf der Schattenseite die Luft abwärts und bildet damit zusammen mit dem Hangaufwind die sogenannte "Hangwindzirkulation".


Diese Zirkulation ist zunächst nur zu spüren, aber nicht zu sehen (höchstens an wogenden Sträuchern oder Gräsern). Erst, wenn die Luftfeuchtigkeit im aufsteigenden Warmluftpaket auskondensiert und sich damit an den Hängen Wolken bilden, werden die Strömungen auch visuell wahrnehmbar. Das Hangwindsystem ist auch die Ursache, warum sich Schauer und Gewitter selten in der Mitte eines Tales bilden, sondern bevorzugt an den Kämmen. In der Nacht passiert der gegenteilige Effekt: Die unmittelbar über den Hängen befindliche Luftschicht kühlt stark ab und fließt die Berge hinab.


Am Talboden werden diese Hangwinde vom Talwindsystem überlagert. Dieser Effekt lässt sich damit erklären, dass in den Tälern deutlich weniger Luft erwärmt werden muss als im angrenzenden Flachland. Damit steigt die Temperatur auch deutlich schneller an. Die in den Tälern aufsteigenden Luftmassen müssen aber ersetzt werden und so beginnt im Tagesverlauf eine in das Tal hinein gerichtete Luftströmung. Bei sonst unveränderten Randbedingungen setzt der Taleinwind an aufeinander folgenden Tagen meist um eine ähnliche Uhrzeit ein. In der Nacht kehrt sich dieser Effekt wie beim Hangwindsystem um: die Luftmasse in den Tälern kühlt deutlich schneller und stärker ab. Diese Kaltluft fließt nun talauswärts ins Flachland.


Pfiffige Radfahrer nützen diese tageszeitliche Schwankung und fahren am Nachmittag mit Windunterstützung talaufwärts und am späten Abend mit dem Talauswind im Rücken in die Gegenrichtung. Allerdings ist diese Windunterstützung nur in flach ansteigenden Tälern wirklich relevant, hohe Pässe müssen hingegen ausschließlich mit eigenproduzierter Energie erklommen werden. Abschließend sei noch angemerkt, dass Täler mit vergletscherten Einzugsgebieten von diesen Gesetzmäßigkeiten abweichen können, mehr dazu aber in einem anderen Thema des Tages.


Die kommenden Tage bieten ausreichend Gelegenheit dazu, die alpinen Windsysteme kennenzulernen. Am bayerischen Alpenrand beispielsweise wird vor allem vormittags viel Sonnenschein erwartet, der ab den Mittagsstunden durch die beschriebene Quellwolkenbildung an den Hängen etwas eingeschränkt wird.

Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.06.2017

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