Morgentau als Quell des Lebens

In den letzten Tagen wurde an dieser Stelle schon mehrmals über den in weiten Teilen Deutschlands zu trockenen September sowie dessen Auswirkung auf die Vegetation berichtet. Beim Anblick von vertrocknetem Laub und Sträuchern, aber auch braunen Rasen- und Wiesenflächen kommt dem einen oder anderen wohl der Vergleich unserer Natur mit einer "steppenartigen" Vegetation in den Sinn. In den Wüstengebieten unseres Planeten ist es natürlich noch weitaus trockener, stellen dort ein paar wenige Regentropfen über viele Jahre hinweg alles an Niederschlag dar.
Wie kommt es dann, dass in diesen Regionen trotz des Wassermangels einige wenige Pflanzen und Tiere überleben können?

Der dafür alles entscheidende Prozess ist die Taubildung und die daran evolutionsbedingte Anpassung von Flora und Fauna. Dieses Zusammenspiel macht in diesen trockenen Regionen erst Leben möglich.


Zunächst einmal zu den physikalischen Prozessen der Tauentstehung: Der in der Luft maximal mögliche Wasserdampfgehalt hängt von der Lufttemperatur ab. Dabei gilt: je höher die Temperatur, desto mehr Wasserdampf kann die Luft aufnehmen. Kühlt sich die Luft jedoch ab, wobei der absolute Feuchtegehalt in der Luft erhalten bleibt, erreicht sie bei einer bestimmten Temperatur Wasserdampfsättigung. Einfacher gesagt, die in der Luft enthaltene Feuchtigkeit entspricht 100 Prozent. Diejenige Temperatur, bei der Sättigung eintritt, wird auch als "Taupunkttemperatur" bezeichnet.

Sinkt nun die Temperatur z. B. in unmittelbarer Erdbodennähe unter den Taupunkt, wird die Sättigung von 100 Prozent kurzzeitig überschritten, wodurch die überschüssige Feuchtigkeit von der Umgebungsluft nicht mehr aufgenommen werden kann. Somit kommt es zum Übergang vom gasförmigen in den flüssigen Zustand des Wasserdampfs (Kondensation), der sich anschließend an Gegenständen oder Pflanzen in Form von kleinsten Wassertröpfchen niederschlägt. Diese Feuchteablagerung wird als "Tau" bezeichnet.
Bilden sich die Wassertröpfchen durch Kondensation nicht an Oberflächen, sondern in der Luft, so spricht man von Dunst oder Nebel.

Wann genau tritt dieses Phänomen der Taubildung auf? Damit die Lufttemperatur am Erdboden bzw. in den untersten Luftschichten unter die Taupunkttemperatur sinkt, muss dort eine starke Wärmeausstrahlung (Wärmeabgabe) stattfinden. Diese tritt in besonderem Maße ein, wenn in der Nacht die tagsüber aufgenommene Wärmeenergie bei wolkenlosem Himmel wieder nahezu ungehindert in die Atmosphäre bzw. ins Weltall abgegeben werden kann. Dabei ist Windstille von großem Vorteil, da dadurch der Nachschub an wärmerer Luft in Bodennähe oder durch vertikale Umlagerungen ausbleibt und infolgedessen die Auskühlung nicht verhindert wird. Der Höhepunkt der nächtlichen Auskühlung wird bei klarem Himmel um die Zeit des Sonnenaufgangs herum erreicht. Dies ist zugleich häufig der Zeitpunkt, an dem die nächtliche Temperatur ihr Minimum erreicht. Diese Art der Taubildung wird in der Meteorologie auch als "Strahlungstau" bezeichnet und gilt für alle Regionen der Erde, somit auch für Wüstenregionen.
Gerade dort kühlt es aufgrund der fehlenden Bewölkung in den Nächten besonders stark ab und begünstigt somit die Taubildung. Zudem sind die Sandböden relativ schlechte Wärmespeicher und kühlen daher sehr schnell aus.

Wie aber nutzen nun Pflanzen und Tiere dieses Phänomen zu ihren Gunsten?
In den Wüsten und Halbwüsten gibt es Pflanzen (z. B. Flechten), die den Tau über ihre Blattoberfläche und nicht wie die meiste andere Vegetation über die Wurzeln aufnehmen. Sträucher oder Gräser führen hingegen die Tautropfen über ihre Halme zu den Wurzeln und halten somit ihren Wasserhaushalt aufrecht.
Auch in unseren Breiten trägt der Tau zum gesamten Wasserhaushalt der Pflanzen bei, allerdings macht dieser Anteil durch das jährlich größere Niederschlagsdargebot nur einen sehr geringen Anteil aus. In der Tierwelt gibt es ebenso beeindruckende Techniken der Wassergewinnung.
Ein Spezialist ist z. B. der sogenannte "Nebeltrinker-Käfer" aus der Familie der Schwarzkäfer, der nur in der namibischen Wüste vorkommt. Um den morgendlichen bodennahen Dunst oder Nebel, der oftmals vom nahen Atlantik landeinwärts verfrachtet wird (begünstigt durch die starke bodennahe Auskühlung des Wüstenbodens), aus der Luft zu extrahieren, klettert dieser Käfer nachts auf den Kamm der Sanddünen. Dort streckt er kopfstandähnlich sein Hinterteil gen Himmel, wodurch sich an diesem kleine Wassertröpfchen niederschlagen und zu seinem Kopf hin zusammenlaufen.

So zeigt sich, dass selbst solch ein bei uns nicht seltenes und meist nur unbewusst wahrgenommenes Phänomen wie die Kondensation und die daraus resultierende Taubildung in anderen Regionen unserer Erde geradezu lebensnotwendig ist.


M.Sc.-Met. Andreas Würtz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 29.09.2016

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