Objektive Schwierigkeiten bei der Böenparametrisierung

Wind bedeutet Ausgleich von Druckunterschieden, die sich durch Temperaturunterschiede aufbauen. Nichtsdestotrotz bestehen physikalische Schwierigkeiten, gerade die Windböen genauer zu erfassen und vorherzusagen.

Immer, wenn wir eine Luftbewegung spüren, fragen wir uns nicht nur, woher der Wind weht, sondern auch, warum er mal schwächer und mal stärker daherkommt.

Nun ja, Wind ist als direkte Folge des Druckausgleichs zwischen hohem und tiefem Luftdruck zu verstehen. Diese Druckunterschiede können sich aufbauen, wenn horizontale Temperaturunterschiede entstehen (z.B. durch unterschiedliche Luftmassen). Dazu kommt, dass sich diese Druckunterschiede in der Höhe mitunter noch verstärken, da in einer kalten Luftmasse der Druck mit der Höhe schneller abnimmt als in einer warmen Luftmasse. Physikalisch kann man sich diesen Umstand damit erklären, dass die vertikale Druckabnahme der Luftdichte proportional ist. Die Dichte von kalter Luft ist hierbei größer als die von warmer Luft. Daher herrscht in unseren Breitengraden oft ein stärkerer Wind in der Höhe als am Boden.

Das bisher Gesagte erklärt allenfalls den so genannten Mittelwind, also die über einen definierten Zeitraum gemittelte Schwankungsbreite der Windgeschwindigkeit. Es sagt relativ wenig aus über die Böigkeit des Windes in Bodennähe, die wiederum Ergebnis der Fluktuation des Mittelwindes, bedingt durch den jeweiligen Turbulenzzustand der Atmosphäre ist. Turbulente Bewegungen entstehen in Fluiden (wie Luft oder auch Wasser) immer, wenn entweder bestimmte Geschwindigkeiten des Fluides überschritten werden, die Strömung also abreißt und damit ihre laminare (oder geschichtete) Struktur verloren geht oder aber die Scherung (unterschiedliche Geschwindigkeiten innerhalb einer Strömung, hervorgerufen z.B. durch Hindernisse oder größere horizontale Temperaturunterschiede) so groß wird, dass lokale Verwirbelungen entstehen. Gerade diese Verwirbelungen drücken die turbulente innere Reibung des Fluides aus und wirken damit ausgleichend auf Strömungsgeschwindigkeit und lokale Temperaturdifferenzen.

Wenn sich nun z.B. die Luft in der Nähe von Grenzflächen wie dem Erdboden bewegt, wird sie durch die höhere Reibungskraft in Bodennähe abgebremst. Diese entgegenwirkende Kraft wird in der Physik Schubspannung genannt und die zugehörige Geschwindigkeit von Fluiden an Grenzflächen Schubspannungsgeschwindigkeit. Diese hängt nun maßgeblich von der Dichte des Fluides ab, d.h. je kleiner die Dichte des Fluides, desto höher die Schubspannungsgeschwindigkeit und damit auch die Neigung zu Turbulenz (sowohl durch Verwirbelung als auch durch hohe Geschwindigkeiten). Hier drängt sich der direkte Vergleich im Strömungsverhalten z.B. von Wasser und Luft auf.

Nun muss man sich die Turbulenz noch räumlich vorstellen, d.h. hier sprechen wir von einer Überlagerung von Horizontal-, lokalen Wirbel- und Vertikalbewegungen. Ausgedrückt wird dies in der Physik durch die Totale Kinetische Energie (TKE) des Fluides, die zum Quadrat der Geschwindigkeit des Fluides proportional ist (horizontale und vertikale Geschwindigkeit überlagert, unter Berücksichtigung der horizontalen und vertikalen Windscherung, also der Differenz der Windgeschwindigkeit).

Vertikalbewegungen entstehen in der Atmosphäre einerseits durch Hebung der Luft (z.B. durch Konvektion, also Aufsteigen von relativ warmer und damit leichterer Luft unter Mitführung von Masse), andererseits können auch Abwärtsbewegungen durch eine bestimme vertikale Schichtung der Luftsäule forciert werden. Das trifft insbesondere bei labiler Schichtung (starke vertikale Temperaturabnahme) zu, wenn in der Höhe relativ kalte und damit schwerere Luft liegt, wobei dann der stärkere Höhenwind heruntergemischt werden kann. In diesem Fall sind so genannte Fallböen möglich, die den Wind am Boden zumindest zeitweise (böig) verstärken können.

Unsere derzeitigen Wettermodelle berücksichtigen einerseits den mitunter verstärkenden Einfluss von Hindernissen auf die Windgeschwindigkeit, gerade auf die maximalen Windböen. Gemeint ist die Orografie, die auf die Strömung je nach Anströmwinkel einen blockierenden Einfluss ausübt und damit die Turbulenz lokal erhöht. Andererseits werden starke Vertikalbewegungen über die Konvektion sowie auch horizontale und vertikale Verwirbelungen durch die Windscherung mit einbezogen (siehe Grafik anbei).

Schwierigkeiten bei der Berechnung oder empirischen Annäherung (Parametrisierung) der Windböen bestehen allerdings nach wie vor. Einerseits bereitet die exakte mathematische Beschreibung des Turbulenzzustandes der Atmosphäre diverse Probleme, andererseits wirft das Heruntermischen des Höhenwindes in Abhängigkeit von der vertikalen Stabilität der Schichtung, insbesondere bei stabiler Schichtung (geringe Temperaturabnahme oder gar Temperaturzunahme mit der Höhe) gerade innerhalb der Planetarischen Grenzschicht (von 0 bis im Mittel etwa 1500 m Höhe) immer wieder Fragen auf.

In einer Zeit immer besser auflösender Wettermodelle (horizontal und vertikal) und exakterer Berechnungsansätze sowie intensiver Forschungsbemühungen auf diesem Gebiet dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, noch realistischere Prognosen der Windböen zu erhalten. Ein Umstand, der insbesondere für das Warnmanagement der Wetterdienste immens wichtig erscheint.


Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.03.2020

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst