Die Kármánsche Wirbelstraße

Das Wettergeschehen am diesjährigen Ostermontag in der vergangenen Woche (22.04.2019) war für uns Meteorologen fast schon langweilig. Bei viel Sonnenschein und einem weitgehend wolkenfreien Himmel stieg die Temperatur teilweise auf sommerliche 27 Grad Celsius an. Schaute man sich an diesem Tag jedoch in Europa um, konnte man über die extremen Niederschlagssummen an der Ostküste Spaniens staunen (wir berichteten bereits im Thema des Tages am Ostermontag). Beim Blick auf den nahen Nordostatlantik wurde aber ein weiteres faszinierendes Phänomen sichtbar. Mithilfe des Satelliten METEOSAT-11, der sich in einer Höhe von 36.000 km stationär über dem Äquator befindet, ließen sich am Ostermontag zwischen Madeira und den Kanarischen Inseln riesige Wolkenwirbel beobachten. Diese Wolkenwirbel werden in der Meteorologie auch als "Kármánsche Wirbelstraße" bezeichnet (siehe Animation unter
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2019/4/29.html).

Bereits 1908 legte Henri Benard den ersten Grundstein in der Forschung zu dieser faszinierenden Erscheinung, der es dem ungarischen Ingenieur und Mathematiker Theodore von Kármán schließlich 1911 ermöglichte, die Kármánsche Wirbelstraße nachzuweisen und zu berechnen. Dabei handelt es sich um ein Phänomen aus der Strömungsmechanik, das bei ausreichender
Strömungsgeschwindigkeit im Windschatten eines Hindernisses, also im Lee, anzutreffen ist. Grob vereinfacht kann man sagen, das ein Hindernis bei entsprechend geringer Geschwindigkeit des umgebenden Fluids "laminar", also ohne sichtbare Verwirbelungen umströmt wird. Steigt die Strömungsgeschwindigkeit, bilden sich im Lee zunächst stationäre Wirbel, bei weiterer Geschwindigkeitszunahme kommt es schließlich an dem umströmten Körper zu einer alternierenden Wirbelablösung. Diese driften dann mit der Strömung stromabwärts. Somit entsteht ein mehr oder weniger regelmäßiges Muster, das aus zwei versetzten Reihen von Wirbeln mit entgegengesetztem Drehsinn besteht und von der Form und Dimension des umströmten Körpers abhängt. Dass dieses Muster als "Straße" bezeichnet wird, liegt übrigens an der Ähnlichkeit zu den gleichmäßig gegeneinander versetzten Fußstapfen von Passanten.

Im vorliegenden Beispiel wird die Wirbelstraße aufgrund der vorhandenen, flachen Stratocumuluswolken, wie sie häufig im Randbereich der Tropen auftreten, bei der Umströmung von Madeira sichtbar. Dort bildet der Berg Pico Ruivo zusammen mit dem Pico do Arieiro, dem Pico das Torres und dem Pico Grande das zentrale Hochgebirge der Insel mit einer Höhe von bis zu 1861 Metern. Die Küste Madeiras fällt hingegen zum Meer hin steil ab. Aber nicht nur stromabwärts von Madeira lassen sich die Wirbelstraßen sichten, häufig werden sie auch bei anderen, hoch aus dem Meer ragenden Inselgruppen beobachtet, beispielsweise im Windschatten der Kanarischen Inseln. Dort traten am Ostermontag ebenfalls Wirbel auf, die jedoch aufgrund geringer Bewölkung im Lee nur schwer ersichtlich sind. Weitere Beispiele sind Tristan da Cunha im südlichen Atlantischen Ozean oder Guadalupe vor der Westküste Mexikos, Jan Mayen im Nordmeer oder die Juan-Fernández-Inseln im südöstlichen Pazifik.

Allerdings ist das Auftreten der Kármánschen Wirbelstraße nicht nur auf Wolken beschränkt. Sie lassen sich vielerorts in der Natur und Technik finden. Grundsätzlich können sie in allen gasförmigen und flüssigen Stoffen nachgewiesen werden und treten recht häufig auf, auch wenn sie nicht immer für das menschliche Auge sichtbar sind. Ein weiteres Beispiel für die Bildung von Wirbelstraßen findet man bei der Umströmung von Brückenpfeilern. Man kann sie übrigens auch selbst erzeugen, in dem man beispielsweise in der Badewanne mit dem Finger durchs Wasser fährt oder ein Räucherstäbchen rasch mit der Hand durch die Luft bewegt. Bei der Konstruktion von Flugzeugen muss hingegen beachtet werden, dass diese laminar umströmt und somit Wirbelbildungen möglichst vermieden werden.

MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 29.04.2019

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